Missing Link: Super Bowl? Super Werbung!

In den USA wird am Sonntag der 59. Super Bowl ausgetragen. Die Entscheidung über den Gewinner der abgelaufenen Football-Saison ist ein Riesenspektakel, begleitet von einer extravaganten Halbzeit-Show und vielen Unterbrechungen für Werbung. Kostete ein Werbespot von 30 Sekunden Dauer während des ersten Super Bowl 1967 noch 37.500 US-Dollar, sind es heute 7 bis 8 Millionen US-Dollar. Neben der Werbung für Bier, Autos und Chips ist seit 1977 auch die IT-Branche regelmäßig dabei – mit spektakulären Tops (Apple) und unfassbaren Flops (Apple).
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Der Super Bowl ist das Finale der US-amerikanischen Football-Profiliga NFL (National Football League), deren Wurzeln ins Jahr 1920 reichen. 1960 etablierte sich die konkurrierende American Football League (AFL). 1967 kam es erstmals zu einem Aufeinandertreffen der jeweiligen Champions beider Ligen, seit 1969 wird das Match offiziell “Super Bowl” genannt. 1970 wurden beide Ligen zur NFL fusioniert.
Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.
Goldenes TV-Zeitalter
Im Zeitalter des Fernsehens entwickelte sich das Sportereignis zu einem TV-Spektakel mit den höchsten Einschaltquoten. Die Werbung in den Spielpausen, meistens 30-Sekunden-Spots, ist für viele Unternehmen der Auftakt strategischer Werbekampagnen, die die Bekanntheit einer Marke steigern sollen. Dieses Jahr ist es der Newcomer Bosch, der zwar seit 139 Jahren in den USA präsent ist, dessen Marke aber bisher nicht allgemein bekannt ist. Mit dem Claim “The more you Bosch, the more you feel like a Bosch” soll sich das ändern.
Lange Zeit war der Super Bowl in Hinblick auf die Einschaltquoten sogar ein günstiger Werbeplatz, primär für die vielen Biermarken, die beim Football-Schauen getrunken werden. Erst 1995 durchbrach die Summe der Werbeeinnahmen mit 1,15 Millionen Dollar die magische Schallmauer. Darüber kann man heute nur lächeln: Bosch hat seinen Platz an der Werbesonne für 7 Millionen US-Dollar gekauft. Ein Boss-Move.
Die Geschichte der informationstechnischen Werbespots begann 1977 recht christlich. In einem Skriptorium bekommt der Mönch Dominik die Aufgabe, ein Traktat zu vervielfältigen. In seiner Verzweiflung wendet sich Bruder Dominik an ein Copycenter von Xerox, in dem ihm flugs geholfen wird. Ein Wunder ist geschehen! Der Werbespot für Bürokopierer mit dem jüdischen Komiker Jack Eagle in der Hauptrolle war so erfolgreich, dass Xerox mehrere Varianten entwickelte, 2017 sogar eine multimediale “Anniversary Edition”.
Werbemönch Jack Eagle trat bei zahlreichen Werbeveranstaltungen von Xerox auf und kannte am Ende die Palette der angebotenen Geräte besser als mancher Verkäufer. Sein Sohn Ian wurde einer der bekanntesten Fernsehkommentatoren der Super Bowls.
1978 kam der erste Computer zum Super Bowl: Die Firma Wang warb für ihre Textverarbeitungssysteme und griff dabei zur biblischen Geschichte vom Kampf Davids gegen Goliath. David war natürlich Wang und Goliath sollte wohl IBM sein. Obwohl man bei IBM Werbung bei Sportereignissen zunächst ablehnte, reagierte die Firma und zeigte Wang im Jahre 1979 mit dem Werbespot “Chips” gewissermaßen den Stinkefinger mit einem winzigen Chip.
Der nächste Super-Bowl-Spot von IBM erschien im Jahre 1988. Mit “Signals” versuchte “Big Blue”, die Ankündigung eines IBM-Produkts in die Football-Sprache zu übertragen. Für die eigentliche Premiere der AS/400 leistete man sich den Luxus, die Crew der TV-Serie M.A.S.H. zu verpflichten, mit Alan Alda in der Hauptrolle. Das sorgte für Verwirrung, denn Alda war eigentlich die zentrale Werbefigur für Atari.
Ataris gab sein Debüt beim Super Bowl schon 1982. “Little Boy” zeigt einen Erwachsenen, der sich wie ein kleiner Junge ganz dem Videospiel Breakout hingibt und am Ende als stolzer Vater bewundert wird. Stolz war auch der erwähnte Alan Alda, der im Spot des Jahres 1984 in 26 Sekunden einen Atari auspackte und an den Fernseher anschloss. Das Fachblatt Ad Age berichtete, dass die Szene dutzendfach geprobt werden musste, ehe Alda unter den geforderten 30 Sekunden blieb.
Gemütlicher hatten es da der IBM-Konkurrent im Charlie Chaplin-Look, der 1984 für IBM am PCJr mit seiner Infrarot-Tastatur werkelte und der bekannte US-Schauspieler Bill Bixby (“Der unglaubliche Hulk”), der in einer Mondlandschaft den fertig aufgebauten Tandy 2000 erklärte.
Die drei Werbespots verschwanden schnell in der Rubrik “ferner liefen”, denn 1984 war die Sternstunde von Apples berühmtem 1984, der von Ridley Scott (Blade Runner) geprägte Werbespot für den nicht zu sehenden Apple Macintosh, der gleich mehrfach Geschichte schrieb. Das begann mit den 400.000 US-Dollar Produktionskosten für den in London gedrehten Film, für den man für 120 Dollar ein paar Punks von der Straße rekrutierte und endete fast mit der Ablehnung des Spots durch den Aufsichtsrat von Apple.
Von dem für 900.000 Dollar gekauften Werbeplatz konnte Apple immerhin noch 30 Sekunden weiterverkaufen und zeigte eine entsprechend gekürzte Version. Im Orwell-Skript “1984 won’t be like ‘1984” der Werbeagentur Chiat/Day sollte Big Brother unverständliche Sätze murmeln, doch Ridley Scott setzte sich hin und schrieb eine komplette Rede, die uns aus heutiger Sicht seltsam bekannt vorkommt. Big Brother, gespielt vom britischen Schauspieler David Graham, feierte die Information Putification Directive:
My friends, each of you is a single cell in the great body of the State. And today, that great body has purged itself of parasites. We have triumphed over the unprincipled dissemination of facts. The thugs and wreckers have been cast out. And the poisonous weeds of disinformation have been consigned to the dustbin of history. Let each and every cell rejoice! For today, we celebrate the first, glorious anniversary of the Information Purification Directive! We have created, for the first time in all history, a garden of pure ideology, where each worker may bloom secure from the pests of contradictory and confusing truths. Our Unification of Thought is a more powerful weapon than any fleet or army on Earth! We are one people. With one will. One resolve. One cause. Our enemies shall talk themselves to death. And we will bury them with their own confusion! We shall prevail!
Während der Rede von Big Brother schmeißt eine blonde Läuferin einen Hammer in den großen Bildschirm und blitzdingst die grauen Zombies, die der Rede lauschten und dann aus ihrer Lethargie aufwachten. Auch die Werbewelt war von dem Spot geschockt, der über 30 Preise gewann.
Auch Apple gewann: Im ersten Jahr verkaufte der Hersteller 280.000 Macs, während IBM schlappe 10.000 PCJr. an den Mann brachte. Danach wechselte Apple die Agentur und versuchte dennoch, mit dem Konzept der Zombies Werbung zu machen. 1985 wurde “Lemmings” zum Super Bowl gezeigt und prompt zum schlimmsten Werbespot gewählt.
Was für Apple vielleicht noch schlimmer war: Lemmings machte Werbung eine Kombination aus Hard- und Software namens “The Macintosh Office”, ein Produkt, das es in dieser Form nicht gab. Erst 1999 verbuchte Apple beim Super Bowl wieder einen größeren Werbeerfolg mit “Hal”. Bei einem langen Zoom auf das Auge des Film-Supercomputers Hal 9000 wird die (falsche) Geschichte erzählt, dass zum Jahreswechsel 2000 viele Computer versagten, während einzig und allein der Macintosh den datumskritischen Jahreswechsel meisterte.
Wie sehr “1984” die Computer-Werbung beeinflusste, mag man an dem Super Bowl-Spot “Empower the People – the tablet to create a better World” sehen, mit dem Motorola 2011 sein Xoom-Tablet gegen das iPad zu positionieren versuchte. Der Protagonist las inmitten all der Apple-Zombies auf seinem Tablet Orwells 1984 und kreierte einen Blumenstrauß für seine Angebetete. Der Spot wurde zwar sehr gelobt, doch das Xoom verschwand bald sang- und klanglos.
Verschwunden ist inwischen auch Computer-Hersteller Wang, aber nicht bevor er mit einem spektakulären ein zweites Mal beim Super Bowl von sich reden machte. Wang rüstete sich 1986 unter dem neuen Firmenchef Fred Wang für eine Werbe-Kampagne, die dieses Mal den Feind direkt ins Visier nahm. Mit dem Slogan “We’re gunning for IBM” und einem an den Kinofilm “Das fliegende Auge” angelehnten Spot wollte Wang auf sich aufmerksam machen, doch als der Gründer An Wang die Werbung beim Super Bowl sah, stoppte er die Kampagne.
Kann man mit einem Werbespot die Reaktionen auf ein sich abzeichnendes Desaster abfedern? Intel probierte das zum Super Bowl 1995 mit einem Überflug über den makellosen Pentium-Prozessor in einer Flugmaschine, die nach Plänen von Leonardo da Vinci gebaut wurde. Die Sache mit dem FDIV-Bug wurde zu diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit bekannt. Erfolgreicher war für Intel der Werbespot, mit dem 1997 der Pentium MMX vorgestellt wurde und die Bunny-Suits aus dem Reinraum zu “Play that Funky Music” tanzten.
1997 und 1998 wurde die Anzeigenstrecke der Super Bowls indes mit einem anderen Thema gefüllt: das Internet wollte erklärt und beworben werden. Der Online-Dienst Compuserve leistete 1997 sich mit “Not Busy” den Luxus, den Zuschauern 15 Sekunden lang gar nichts zu zeigen und nur das Besetztzeichen zu übertragen – als Hinweis darauf, wie die Telefonleitungen der Konkurrenz ausgelastet sind. Konkurrent MCI erklärte, was Emoticons sind und zeigte in einem zweiten Spot, dass das Internet im Weltraum funktioniert.
Lotus zeigte mit “Capitalism”, wie Wertschöpfung geht. Komiker Denis Leary zeigt sich entsetzt angesichts all der Menschen, die im Web herumbrowsen anstatt einer richtigen Arbeit nachzugehen, wie Lotus Domino das gestattet. Humorig und sehr pädagogisch zeigte AT&T im Folgejahr mit “Bobby Templeton“, wie schnell sich ein Gerücht in den neuen Medien verbreiten kann.
Weit oben im Ranking der völlig missglückten Werbespots zum Super Bowl reihte sich 1998 Iomega ein. Zu dem Zeitpunkt, als die ersten Nachrichten vom “Click of Death” die Runde machten, produzierte die Firma mit dem Flug über das Bermuda-Dreieck einen Werbespot, in dem Passagiere und Besatzung plötzlich verschwanden – genau wie die mit einem ZIP-Laufwerk von Iomega gesicherten Daten.
Ähnliches passierte Computer Associates, die mit ihrem Werbespot “Amnesia” für die Notwendigkeit der Datensicherung mit Brightstor werben wollten. Immerhin sind bewusstlose Manager nicht so beunruhigend wie ITler in Panik, die einen Hacker-Angriff auf ihr Netzwerk vermuten und den Atomkrieg auslösen. So konnte man es im Werbespot von Network Associates sehen, der ebenfalls 1998 lief.
Besser machte es der IT-Dienstleister EDS, der die Arbeit von Systemintegratoren in einem Spot mit harten Cowboys zeigte, die den härtesten aller harten Jobs zu erledigen hatten. Für die Aufnahmen wurden laut Besetzungsliste nur sieben trainierte Katzen eingesetzt.
Der Werbespot von EDS wurde zum Super Bowl 2000 gesendet, der allgemein als “Dotcom Bowl” bekannt wurde. Die Dotcom-Blase hatte ihre größte Ausdehnung erreicht und 21 Dotcom-Firmen hatten nichts Besseres zu tun, als für ihre nicht existenten oder schwer erkennbaren Dienstleistungen zu werben und dafür 44 Millionen Dollar auszugeben. Stellvertretend für viele seien die Sockenpuppen von Pets.com genannt, einer Firma, die noch im selben Jahr aus dem Internet verschwand und 2001 aufgelöst wurde.
Dotcom-Sockenpuppen
Den Vogel schoss der Finanzdienstleister E*Trade ab, der einen Affen auf einer Tonne tanzen ließ und sich dann darüber mokierte, 2 Millionen US-Dollar für den Unsinn ausgegeben zu haben. E*Trade überlebte das Platzen der Blase und ließ 2001 den Affen durch eine Geisterstadt reiten, dabei die letzte verbliebene Sockenpuppe mitnehmend.
Nicht ganz so spektakulär fiel die Wiederholung als Crypto Bowl im Jahre 2022 aus, als Coinbase, Crypto.com, eToro und die Cryptobörse FTX mit ihren Spots Akzente setzten. Für weitaus mehr Aufsehen sorgte die Tatsache, dass in diesem Jahr auf Druck der Republikaner erstmals ein politischer Werbespot erlaubt wurde, in dem der damals amtierende Präsident Joe Biden verunglimpft wurde.
Im nunmehr anstehenden Super Bowl tritt, wie eingangs erwähnt, Bosch als Newcomer an. In bester Werber-Tradition hat die Firma bis jetzt nur einen Teaser veröffentlicht, in dem der Schauspieler Antonio Banderas vor einem offenen Bosch-Kühlschrank ein Glas Gurken für einen muskelbepackten Macho Man öffnet.
Eine andere deutsche Firma hatte bei einem ihrer vielen Super-Bowl-Spots mit dieser Regel gebrochen: Im Jahre 2011 zeigte Volkswagen “The Force” vorab in voller Länge. Noch vor dem Anstoß wurde die Werbung von 16 Millionen amüsierten Menschen gesehen. Vergangenes Jahr hatte der krisengeschüttelte Konzern mit seinem letzten Werbespot beim Super Bowl mit der “An American Love Story” auf seine Weise für Nostalgie gesorgt und an die Einwanderergesellschaft der USA erinnert. Es wirkte wie ein Abschied.
(vbr)